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Kurden feiern Abdullah Öcalan, den Gründer in der Türkei verbotenen PKK. Der hat nun einen Friedensplan vorgelegt: Waffenruhe ab 21. März, Abzug der Kämpfer bis 15. August.

Foto: REUTERS/Jean-Marc Loos

Der Giftbecher ist sein bevorzugtes Bild geworden. "Wenn es sein muss, trinke ich ihn", sagt Tayyip Erdogan. Das "Gift" ist ein Handel mit dem Staatsfeind, der kurdischen Untergrundarmee PKK: "Ich werde alles machen, was notwendig ist, um den Terrorismus zu beenden", erklärt der türkische Regierungschef dieser Tage immer wieder seinen Bürgern.

Zweimal hat das Justizministerium nun Politiker der Kurdenpartei BDP nach Imrali fahren lassen, der Gefängnisinsel im Marmarameer, auf der Abdullah Öcalan seit 14 Jahren eingesperrt ist. Zurückgekommen sind sie mit einem Friedensplan. Unvorstellbar unter früheren türkischen Regierungen und noch bis vor wenigen Monaten, als Erdogan selbst die Kurdenpartei im Parlament als Handlanger der PKK bezeichnete und Abgeordneten mit der Aufhebung der Immunität drohte.

Nun aber wird verhandelt, und die Rechtsnationalisten schäumen. "Wie sind wir nur so weit gekommen", titelt Sözcü, eine viel gelesene Zeitung der Kemalisten, den einen Tag, "Alles Märchen", steht am nächsten in großen Lettern auf der ersten Seite. Am Freitag war es: "Worte wie Gift. Komm schon Tayyip, trink!"

Denn wieder ist etwas schiefgelaufen. Ein Protokoll des Gesprächs zwischen Öcalan und den drei BDP-Abgeordneten, die ihn zuletzt besucht hatten, wurde der Presse zugespielt und sogleich veröffentlicht. Es gilt als der zweite Versuch, die Verhandlungen zu sabotieren. Im Jänner waren drei Kurdinnen in Paris ermordet worden, darunter eine Vertraute Öcalans – nach Auffassung der französischen Ermittler von einem Kurden, der offenbar gegen die Gespräche zwischen der PKK und dem türkischen Staat war.

Die BDP bezweifelt die Authentizität des Protokolls, doch nun wird nach den Urhebern des  "Leaks" gesucht. Der mittlerweile 63-jährige Öcalan stellt sich im Gespräch als Figur mit historischen Weitblick dar, der Erdogans Regierung vor sich hertreiben will: "Radikale Demokratie, vollständige Demokratie, die vollständige Demokratisierung von Anatolien und Mesopotamien, das ist es, was ich vorhabe ... Als ich es seinerzeit sagte, haben sie mich nicht verstanden." Öcalan musste 1998 aus Syrien fliehen und wurde dann vom türkischen Geheimdienst aus Kenia entführt.

Nun will er seine PKK zum kurdischen Neujahrsfest am 21. März zu einer Waffenruhe aufrufen. Erwartet wird dann, dass die Guerilla-Kämpfer in der Türkei bis zum 15. August, dem Jahrestag der Gründung der PKK 1984, abziehen – wohl vorwiegend in den Nordirak. Ihre Zahl dürfte bei 1200 liegen, so berichten türkische Medien unter Berufung auf Sicherheitskreise. Angaben der PKK von 3500 Kämpfern auf türkischen Boden und ebenso viel im Nordirak gelten als übertrieben.

Freies Geleit

Erdogan hat der PKK freies Geleit beim Abzug versprochen. In einem späteren Schritt, so wird erwartet, könnte die Regierung dann eine Amnestie anbieten. Das hat sie 2009 schon einmal getan. Der triumphale Einzug von einem Dutzend PKK-Kämpfern an der türkischen Grenze wurde dann aber zum Debakel für Ankara.

Dieses Mal ist die Lage anders. Justizreform und Verfassungsdebatte geben den Versuchen zur Lösung der Kurdenfrage eine sehr viel größere politische Basis. Die anstehende Änderung der Antiterrorgesetze könnte zur Freilassung von Hunderten kurdischer Lokalpolitiker und zivilgesellschaftlicher Persönlichkeiten aus der U-Haft führen. Und die Kurden im Parlament, so wird spekuliert, könnten der Regierungspartei zur Mehrheit für die Einführung einer Präsidialverfassung verhelfen, die Erdogan für sich will – im Gegenzug für eine gewisse Föderalisierung des Landes und eine regionale Regierung der Kurden. Es wäre eine Revolution für die Türkei. (Markus Bernath, DER STANDARD, 2.3.2013)